Gesund sitzen an der Hans-Grade-Grundschule in Borkheide

Alexandra Leifheit aus Borkheide (links) und Lahra Lange aus Borkwalde finden ihre höhenverstellbaren Stühle und Tische normal.

Alexandra und Lahra finden nichts Besonderes an ihren Stühlen in der Hans-Grade-Grundschule Borkheide. Sie sitzen gut drauf. Das ist doch normal. Ist es das? Noch sind ihre Stühle und Tische nicht für alle Schülerinnen und Schüler an den brandenburgischen Grundschulen Alltag. Nach Studien, auf die der Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung verweist, sollen in Deutschland nur ein Viertel aller Schüler auf ihre Körpergröße abgestimmte Stühle und Tische zur Verfügung haben. Dabei können die Größenunterschiede bereits innerhalb einer Klasse bis zu 40 cm betragen.

Auch an der Borkheider Schule sind erst zwei Drittel der Räume mit höhenverstellbaren Stühlen und Tischen ausgestattet, wie sie die beiden Schülerinnen aus Borkheide bzw. Borkwalde für so selbstverständlich halten. Ihre Stühle können auf drei Höhen und dabei in jeweils drei Stufen eingestellt werden. Insgesamt können die Schüler also zwischen neun verschiedenen Höhen wählen. Für Schulleiterin Ines Glumm ist es wichtig, dass die Schüler bequem zwischen einer Arbeits- und einer Zuhörhaltung wechseln können. Sie legt wert auf feststellbare Größen. Hydraulische Modelle würden nur Unruhe in den Klassen erzeugen. Rollen an den Stuhlbeinen und kippbare Tischplatten findet sie ebenfalls wenig praxistauglich. Ebenso die vielerorts beliebten Sitzbälle.

Alle halbe Jahre wird in den Borkheider Schulklassen überprüft, ob die Kinder so gewachsen sind, dass der Hausmeister die Höhen ihrer Sitzmöbel verstellen muss. Bevor der Hausmeister jedoch tatsächlich Hand anlegt, greift man zu einem einfachen Mittel. Die Schüler tauschen ihre Sitzgelegenheiten, so dass am Ende nur wenige Stühle und Tische wirklich zu verstellen sind.

Edda Haage
Edda Haage

Damit alle Kinder in den Genuss mitwachsender Sitzmöbel kommen, strebt die Gemeindevertreterin Edda Haage einen Grundsatzbeschluss ihrer Gemeinde an. Wenn künftig wieder die Anschaffung von Stühlen und Tischen ansteht, dann sollen nur noch ergonomische Sitzmöbel gekauft werden. Das könnte recht bald sein. „Schon im nächsten Jahr ist eine Klasse neu einzurichten, im übernächsten Jahr wieder eine“, erklärt Glumm. Deshalb ist sie froh über die Initiative. Ihren Sozialausschuss hat Haage schon überzeugt; voraussichtlich im Mai wird sich die Gemeindevertretung positionieren. Mit Unterstützung des Amtes Brück wurde bereits eine Firma gewonnen, die einen Stuhl und einen Tisch zum Probesitzen bereitstellt. Die Lieferung wird jeden Tag erwartet. Dann werden Stuhl und Tisch getestet und bei Gefallen für die nächste Bestellung vorgemerkt. „Qualität geht vor Quantität“, gibt Haage die Richtung vor.

Sie kämpft auch deshalb so engagiert für die ergonomischen Stühle, weil sie selbst mit Rückenprobleme zu kämpfen hat und aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis weiß, dass die Ursache solcher Beschwerden oft weit in der Kindheit begründet sein kann. Bei Grundschülern befindet sich die Wirbelsäule in der Entwicklung. In den großen Wachstumsphasen, die meist zwischen fünf und sieben sowie zwischen elf und fünfzehn Jahren liegen, kommt es oft vor, dass sich Wirbelsäule und Muskulatur unterschiedlich entwickeln. Haltungsschäden können sich da drastisch auswirken. Zwei Drittel aller Zehn- bis Sechzehnjährigen, die einen Kinderarzt aufsuchen, klagen über Rückenschmerzen. Bandscheibenvorfälle solle es schon bei Fünfzehnjährigen geben. Während früher das Kippeln verpönt war, wird es deshalb heute ebenso wie das Recken und Strecken oder der Reitsitz von vielen Lehrern als Signal eines Bewegungsbedürfnisses aufgefasst.

„Wie sitzen eigentlich die Kinder?“, war für Haage die Ausgangsfrage. „Gute Wirbelsäulen sind kein Luxusproblem“, weist sie Kritik zurück, die auf viel dringendere Raumbedarfe hinweist. Auch das Geldproblem lässt Haage nicht gelten: „Wir geben so viel Geld aus für Artztbesuche, für Ernährungsberater, für Rückenschulen, für Physiotherapeuten, für Gesundheitstage und für Turnhallen aus. Auch für Computertechnik und Whiteboards.“ An der Wurzel von vielen Rückenproblemen anzupacken ist für sie eine gute und am Ende preiswerte Wahl.

Die resolute Haage hat sich auch bei der Kita nach dem Bedarf erkundigt. Aber dort hat man im Gegensatz zur Schule abgewunken. Die Kita-Kinder bleiben sowieso kaum auf ihren Stühlen sitzen, sondern laufen meistens herum. Ganz ähnlich sieht es bei den Lehrern an der Grundschule aus. Natürlich hätte man auch dort nichts gegen ergonomische Sitzmöglichkeiten. Andererseits sitzen die wenigsten Lehrer bei ihrer Arbeit. „Der Bedarf bei den Schülerinnen und Schülern ist eindeutig größer“, so Glumm. Die Kinder verbringen im Gegensatz zu ihren Lehrern den Schultag vorwiegend sitzend. Eine konsequente Weiterentwicklung wäre es, den Kindern neben dem sitzenden Arbeiten auch das Lernen im Stehen und Liegen zu ermöglichen. Auch dafür lassen sich inzwischen Beispiele an brandenburgischen Schulen finden.

Artikel in der MAZ