JE SUIS CHARLIE

Man muss das französische Satiremagazin nicht mögen. Aber so ist die neue Losung, die jetzt um die Welt geht, auch nicht gemeint. Ich verstehe sie als Ausdruck dafür, dass dieser Mord auf uns alle zielt, auf unsere Freiheit, auf unsere Demokratie, auf unsere Art zu leben. Deshalb teile ich ihn. Deshalb ist es gut, dass dieser Ausspruch seinen Weg sogar auf einen Weblog von Windkraftgegnern gefunden hat. Ich habe dort dazu einen Kommentar geschrieben, der sich zwar spezifisch auf die Situation der Bürgerinitiative einlässt, der darüber hinaus jedoch meine Haltung zu aktuellen politischen Debatten darstellt. Ich fühle mich auch als Blogger und Internetarbeiter betroffen:

Ich verstehe die Morde von Paris als Angriff auf uns alle, auf unsere Freiheit, auf die Freiheit des Wortes, auf das Recht, eine eigene Meinung, eine eigene Weltanschauung, eine eigene Religion zu haben. Niemand hat das Recht, andere wegen anderer Meinungen umzubringen. Wenn wir das nicht verteidigen, verlieren wir alles.

Wir verlieren aber auch alles, wenn wir unsere Werte so aufgeben, wie es die USA bereits getan haben und Europa dabei ist, es zu tun. Die richtige Antwort auf die Morde von Paris ist für mich:

Zu sein, wie wir sein wollen!

Die falschen Antworten sind für mich ein Überwachungsstaat einerseits und der Hass auf andere andererseits. Ohne Privatsphäre ist die Demokratie tot, ist ein weiterer Fortschritt unserer Gesellschaft unmöglich.

Für mich sind andere Kulturen eine Bereicherung. In der Begegnung mit ihnen entsteht die Chance auf eigene Weiterentwicklung. So funktionieren nun einmal Fortschritt und Kreativität. Das heißt nicht, dass diese Begegnung unproblematisch ist, dass man Parallelgesellschaften dulden darf. Offenheit ist eine Forderung an beide Seiten.

Meiner Meinung nach gibt nichts (!) jemandem das Recht, auf Schwächeren verbal und erst recht nicht tatsächlich herumzutrampeln. Schon gar nicht Terroristen, die glauben im Namen des Islam zu handeln. Ganz nebenbei, die weit überwiegende Zahl der Opfer von IS und anderen Organisationen sind Moslems. Ihnen gehört unsere Solidarität, nicht unser Hass.

Der Kodex, dass man nicht auf anderen herumtrampelt oder niederblickt, gilt aber auch für uns hier. PEGIDA und AfD sind für mich die Organisation gewordene Angst, sich mit den wirklichen Verursachern unserer politischen Verhältnisse auseinanderzusetzen:

  • mit multinationalen Konzernen;
  • mit Datenkraken von Google, Facebook, Amazon bis NSA und BND;
  • mit einer neoliberalen Politik, bei der sich der Mensch bedingungslos der Wirtschaft unterzuordnen hat;
  • mit Partei- und Politikmechanismen, die dazu geführt haben und führen, dass sich Parteien und Politiker aller Parteien immer weiter von den Menschen und vom realen Leben entfernen.

Auch der Vorwurf “Lügenpresse” scheint mir sehr verquer zu sein. Tatsächlich nehme ich auch wahr, dass unsere Medien merkwürdigerweise sehr einhellig und tendenziös berichten und viele Tatsachen einfach ignorieren. Möglicherweise liegt es ja daran, dass sie nur noch wenigen, weltweit agierenden Konzernen gehören oder extrem eng mit den regierenden Parteien verquickt sind. Nur der Umkehrschluss, Verschwörungstheorien und Meinungen aus anderen Ecken des Internets würden die allgemeingültige Wahrheit verkünden, der ist falsch. Sie unterliegen noch weniger als die öffentlich-rechtlichen Medien oder große Zeitungen und Fernsehsender einer öffentlichen Kontrolle. Sie können und sollen ergänzen, anregen, hinterfragen, korrigieren. Mehr nicht. Man muss selber denken, anders geht es nicht.

Und nun der große Bogen: Hat das alles etwas mit unserem Widerstand gegen Windräder zu tun, um den es auf dieser Seite geht? Die widerlichen Morde von Paris sicher nicht. Manche Reaktion auf diese Morde zumindest indirekt. Da versuchen einige, namentlich auch ein brandenburgischer AfD-Funktionär, politisches Kapital zu schlagen, gegen Menschen zu hetzen, die einen anderen Glauben haben, und auf ein Unbehagen gegenüber unseren Parteien und ihrer Politik aufzusatteln, das wir ja auch empfinden. Auch wir fühlen uns, unsere Sorgen und unseren inzwischen erarbeiteten Sachverstand nicht ernst genommen. Auch wir haben Angst vor Veränderungen, die uns aufgezwungen werden sollen.

Doch ich gehe davon aus, wir wenden uns weiter an die richtigen Adressaten und lassen uns nicht von Menschen mißbrauchen, die Hass gegen Schutzlose predigen. So sehr können die etablierten Parteien gar nicht versagen, dass wir darin eine vermeintliche Zuflucht suchen.

Wir fordern unser Recht ein, Partner auf Augenhöhe zu sein, wenn über Windräder und anderes entschieden wird, das uns so unmittelbar betrifft. Wir kämpfen weiter mit Argumenten; wenn die weiterhin nicht helfen oder weiterhin nicht widerlegt werden, dann auch mit zivilem Ungehorsam, vielleicht sogar mit Gewalt gegen Gegenstände, niemals aber mit Gewalt gegen Menschen. Niemals mit Hass auf andere oder Verachtung gegenüber anderen. Immer in Solidarität und Menschlichkeit miteinander und mit anderen. Auch der Politiker, der uns nicht ernst nimmt, der nur seinen Posten sieht, ist “nur” Gegner, nicht Idiot. Damit wir als Bürgerinitiative eine Plattform (weiter) erhalten, müssen Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit verteidigt – und unsere Demokratie weiterentwickelt werden. Es gibt sowohl die Bringeschuld der Politik als auch die notwendige Frechheit und Courage, sich das zu nehmen: Mehr Demokratie, mehr Beteiligung, mehr Freiheit wagen!

Das, finde ich, ist eine Form von Respekt, die wir den Opfern von “Charlie Hebdo” erweisen sollten.