„Schreib schnell zu Ende, damit wir es lesen können.“

Andrea Jennert
Andrea Jennert

Ricarda Müller, Hausherrin im Kulturhaus Alte Brücker Post, begrüßt die Schriftstellerin, Musikerin und Malerin Andrea Jennert mit den Worten „Sie ist wieder da!“ Das empfinden offenbar die Anwesenden genauso. Die meisten sind gekommen, weil sie Jennert bereits kennen und schätzen. Darunter auch Gäste aus Borkwalde, wo Jennert einige Jahre gelebt und gearbeitet hatte. Die Atmosphäre ist familiär.

Ankommen, ankommen wollen ist zugleich das große Thema des Abends. Jennert liest aus ihrem neuen, noch unfertigen Briefroman und begleitet sich zwischendurch selbst mit passenden Stücken am Piano. Ihr neuer Roman erzählt von Jennerts Rückkehr in ihren früheren Wohnort Potsdam, nachdem sie einige Jahre in Barth am gleichnamigen Bodden gelebt hatte. Er erzählt von ihren aktuellen Erfahrungen als Integrationslehrerin in Potsdam, gewissermaßen eine Rückkehr in ihren ersten Beruf. Seit August letzten Jahres stellt sich die gelernte Deutschlehrerin 23 Männern und einer Frau, die aus Syrien, Iran, Palästina und Eritrea stammen und versuchen, in Deutschland anzukommen. Tag für Tag, fünf Stunden lang. Es geht um das Ankommen der Flüchtlinge ebenso wie um das der Autorin. Warum tut sie sich den nicht einfachen Job an? Um sich etwas zu beweisen, um noch einmal von vorn anzufangen, um ein guter Mensch zu sein? Vielleicht will Jennert herauszufinden, ob es richtig war, den Beruf Lehrerin aufzugeben und der gefühlten Berufung zum Schreiben zu folgen.

Andrea Jennert
Begeisterung

Jennert will ankommen. Ankommen in der neuen Wohnung. Ankommen in ihrer vertrauten, neuen Stadt Potsdam. Ankommen im Eigentlichen, im Leben. „Es geht mir ähnlich wie den Flüchtlingen; wir helfen uns gegenseitig beim Ankommen“, so Jennert. Für die Flüchtlinge ist der Versuch anzukommen eine existentielle Herausforderung. Jennert erzählt von dem Mann in der letzten Reihe, der fast blind ist und vor allem über die Ohren Wissen aufnimmt. Er hatte einen Kopfschuss erhalten. Sie erzählt von dem Flüchtling, dessen Boot im Mittelmeer kenterte. Fünf Stunden ist er geschwommen, während andere um ihm herum ertranken.

Andrea Jennert
Artikel über Andrea Jennert in der Märkischen Allgemeinen/Fläming Echo

„Ich will schreiben, was ist, was für mich ist!“ Jenner spart die Probleme nicht aus. Schon nach zwei Tagen wollte sie wieder kündigen. Die Männer waren höflich und hilfsbereit und haben sie doch mitunter ignoriert. Die Schriftstellerin muss sich belehren lassen, dass alle Tiere im deutschen männlich sind. Es heißt „der Katze“. Oder das ständige Zuspätkommen. In der ersten Unterrichtsstunde klapperte ständig die Tür, bis Jennert die Zuspätkommenden aussperrt. Ob es helfen wird? Manchmal fühlt sie sich an die Tanten im Kindergarten erinnert, aber will doch Erwachsene unterrichten.

Andrea Jennert
Das Gespräch geht weiter

Ohne je aufgesetzt zu wirken, schwingt Jennert den literarischen Bogen von ihrer aktuellen Lehrertätigkeit zum Schreiben darüber. Von der Selbstreflektion als Künstlerin zu den noch immer alltäglichen Problemen der Frauen. Von den Problemen der Flüchtlinge zu ihren eigenen und denen ihrer imaginären Briefpartnerin. Von den heutigen Flüchtlingsströmen zu den Millionen nach 1945 in Deutschland oder aus der DDR. Nach dem Krieg wurde gearbeitet, nicht verarbeitet, worunter heute die Kinder und Enkel leiden. Sie erwähnt auch die 17 Millionen DDR-Bürger, die nach 1990 in einem neuen Land ankommen mussten.

Jennert ist vielseitig. Zwischen ihren Brieflesungen spielt sie am Piano, zum Beispiel Filmmelodien aus Filmen, man ebenfalls als Geschichten vom Ankommen verstehen kann: „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und „Zwei beste Freunde.

Artikel über Andrea Jennert BRAWO
Artikel über Andrea Jennert in der BRAWO

Die Französin Annie Tilmant von der Alten Brücker Post trifft einen Nerv der Zuhörer, als sie Jennert ermuntert: „Du hast das Herz dabei. Danke!“ Auch Birgit Mandelartz aus Wiesenburg ist begeistert: „Eine schöne Sprache., vielschichtige Probleme und klug gewählte Briefform. Ich fühle mich zu hundert Prozent angesprochen.“ Das Auditorium ist sich einig gegenüber Jennert: „Schreib schnell zu Ende, damit wir es lesen können.“

Bereits am 31. März um 19 Uhr wird die vielseitige Jennert wieder in der Alten Brücker Post sein und zur Vernissage ihrer Ausstellung „Nordlichter“ lesen und am Piano spielen.